28.04.2025

Taiwan Today

Frühere Ausgaben

Suche nach taiwanischen Schreibweisen

28.02.2005
Eine presbyterianische Kirche in Taipeh. Die Romanisierung der taiwanischen Sprachen wurde früher von christlichen Missionaren ersonnen und gefördert. (Foto: Chang Su-ching)

Taiwans lokale Sprachen finden ihren Weg auf die Seiten von Büchern und anderen Publikationen.

Für Lehrer und Zeitschriftenredakteure taiwanischer Sprachen wie Tân Hong-Hui, die auf Holo(河洛語) oder Minnanisch(閩南話) spezialisiert sind, ist Taiwan eine Gesellschaft der Analphabeten. Viele Taiwaner haben keine Ahnung, dass die ersten Sammlungen von Romanen und Prosa, die in den zwanziger Jahren in Taiwan erschienen, weder auf Chinesisch noch auf Japanisch -- der Sprache der Kolonialherren -- geschrieben waren, sondern in einer romanisierten Form von Holo, der Sprache von Taiwans größter ethnischer Gruppe, die über 70 Prozent der Bevölkerung ausmacht.

Nur wenige Taiwaner wissen, dass seit über anderthalb Jahrhunderten eine unabhängige Holo-Orthografie existiert, und noch weniger Menschen sind sich bewusst, dass es sich dabei um ein anspruchsvolles System handelt, mit dem man tiefe Gedanken ausdrücken kann. "Unsere Sprachausbildung legt wenig Gewicht auf Romanisierung, selbst für das Lernen der Aussprache", rügt Tân. "Die Menschen haben oft sehr unklare und sogar falsche Konzepte über die Romanisierung von Holo."

Als Reaktion auf einen in Taiwan verbreiteten Glauben, viele Worte des taiwanischen Dialekts könnten nicht niedergeschrieben werden, weist Tân darauf hin, dass man damit eigentlich meint, es gebe für die Wörter keine chinesischen Schriftzeichen. Die romanisierten Entsprechungen sind dagegen für jeden da, der es wissen möchte.

In Taiwan lernen alle Grundschüler Mandarin-Chinesisch mit 37 Symbolen, die nicht aus lateinischen Buchstaben gebildet wurden, sondern aus Zeichenelementen, den grundlegenden piktografischen Bausteinen chinesischer Schriftzeichen. Dieses System, von Chinas nationalistischer Regierung im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts entworfen und angenommen, wird auf Englisch gewöhnlich "Bopomofo"(ㄅㄆㄇㄈ) oder MPS (Mandarin Phonetic Symbols注音符號)) genannt. Ungefähr 40 Jahre später wurde MPS durch das neue Pinyin-System(漢語拼音) des kommunistischen Regimes ersetzt, und im Jahre 1979 wurde Pinyin von der International Organization for Standardization als Standardsystem für die Romanisierung von Mandarin-Chinesisch übernommen. Doch auf Taiwan, wohin sich die von der Kuomintang (KMT) gestellte Regierung der Republik China nach ihrer Niederlage im chinesischen Bürgerkrieg gegen die Kommunisten Ende der vierziger Jahre zurückgezogen hatte, existierte MPS weiter.

Das hatte zur Folge, dass nur wenige Menschen in Taiwan wissen, wie nützlich Romanisierungssysteme sein können. Trotz eines frühen Vorstoßes der KMT-Regierung für die Entwicklung eines romanisierten Systems für Mandarin-Chinesisch, dessen Ergebnis im Jahre 1928 Gwoyeu Romatzyh(國語羅馬字) war, haben die meisten Taiwaner von seiner Existenz trotzdem keine Ahnung. Selbst nach einer Überarbeitung und der offiziellen Anerkennung im Jahre 1986 wurde es nie in den Schulen unterrichtet und stand als Transskribierungsmethode meist im Schatten von im Ausland entworfenen Systemen wie Wade -Giles.

"Das in der ganzen Welt verwendete lateinische Alphabet war eine der größten Erfindungen des Menschen", lobt Lí Khîn-hoan, Linguistikprofessor am 2003 gegründeten Graduierteninstitut für taiwanische Kultur, Sprachen und Literatur der Pädagogischen Hochschule Taiwan. "Doch anstatt es als Besitz aller Menschen zu begrüßen, neigt unsere Kultur dazu, sich vor solchen fremden Einflüssen zu schützen." In einem Vorwort zu einem Schreib-Lehrbuch für chinesische Sprachen schrieb Prof. Lee Yuan-tseh(李遠哲), Präsident der Academia Sinica, seiner Ansicht nach seien die spärlichen Kenntnisse der taiwanischen Schüler über Romanisierung ein erheblicher Mangel in Taiwans Bildungssystem.

Die Romanisierung lokaler Sprachen ist im Wesentlichen ein wichtiger Bestandteil von Taiwans sozialer, kultureller und literarischer Geschichte. Das erste bekannte Beispiel stammt aus der holländischen Kolonialzeit (1624-1662), als Missionare die von austronesischen Siedlern in den südwesttaiwanischen Ebenen gesprochene Siraya-Sprache romanisierten, um sie zu unterrichten und mit Lehrbüchern und übersetzten Bibeln zum Christentum zu bekehren. Noch über ein Jahrhundert nach dem Ende der holländischen Besetzung benutzten die Sirayas(西拉雅族) das romanisierte System weiter, um Hypotheken, Verkaufsverträge oder Leihgaben schriftlich festzuhalten.

Das peh-o-e-ji--Modell (白話字,POJ) zum Schreiben der Umgangssprache, das Holo-Dichter und Schriftsteller wie Lí verwenden, reicht historisch zurück bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, nachdem eine erkleckliche Zahl von Han-Chinesen sich auf der Insel niedergelassen hatte. Im scharfen Kontrast zur klassischen Tradition der chinesischen Schriftzeichen, welche diese Emigranten mitbrachten, entwarfen christliche Prediger, besonders von der Presbyterianischen Kirche, die romanisierte Schrift zur Aufzeichnung der Alltagssprache.

Nachdem Mitte des 19. Jahrhunderts unter der Herrschaft der Qing-Dynastie (1644-1911) in China die Beschränkungen für missionarische Tätigkeit gelockert wurden, kamen mehr Missionare nach Taiwan. Sie übersetzten die Bibel in romanisiertes Holo, Hakka und Ureinwohnersprachen, erstellten Wörterbücher, gaben Zeitungen und Lehrbücher für das neue Schreibsystem heraus, und dazu verfassten sie POJ-Essays über mathematische und medizinische Themen. Im Jahre 1926 erschien der POJ-Roman Linie zwischen Leben und Tod von Ten Khe-pòan (鄭溪泮,1896-1951), was eine Ära der modernen taiwanischen Literatur zu einer Zeit einläutete, in der literarische Arbeiten von Bedeutung in chinesischen Schriftzeichen noch keinen Anspruch auf taiwanische Literaturgeschichte begründet hatten.

Trotz des Ursprungs von POJ als Werkzeug für Religionsunterricht zögerten die Anhänger der Kirche wie das Siraya-Volk nicht, es im Alltagsgebrauch anzuwenden, etwa um sich Notizen zu machen und Briefe zu schreiben. Viele Frauen ohne formale Bildung konnten die romanisierten Schriften problemlos lesen. In der älteren Generation gibt es heute noch Menschen, die solche Texte lesen und schreiben können.

Bis in die siebziger Jahre hinein war dieses Schriftsystem im öffentlichen Gebrauch von der Regierung verboten. Die Regierung setzte sich für Mandarin-Chinesisch als einzige nationale Sprache ein. Predigten und Bibeln in lokalen Dialekten und Sprachen wurden aus den Kirchen verbannt. Einer der Gründe für diese Zensur war die Furcht, in einer Gesellschaft unter Kriegsrecht könnten Texte, die nicht in chinesischen Schriftzeichen geschrieben waren, gesellschaftlichen Unfrieden anfachen.

Seit den achtziger Jahren, ungefähr gleichzeitig mit der Aufhebung des Kriegsrechts im Juli 1987, tauchten POJ oder überarbeitete Versionen in der Tâi-bûn-Bewegung (台文,taiwanische Schrift) wieder auf, und nicht nur bei religiös Gläubigen. Das System wurden von den meisten Tâi-bûn-Zeitschriften übernommen, von denen es derzeit etwa 10 gibt, zum Beispiel Tâi-bûn Thong-Sìn (台文通訊,erscheint seit 1991) und der seit 1996 erscheinenden Zeitschrift Tâi-bûn Bóng Pò(台文罔報), bei der Tân Redakteurin ist.

Anders als die Modelle, die ausschließlich chinesische Schriftzeichen oder ausschließlich romanisierte Schrift verwenden, benutzen diese Zeitschriften ein Mischmodell. In einer Gesellschaft, in welcher der Gebrauch von chinesischen Schriftzeichen dominiert, ist eine komplette Romanisierung für die meisten Menschen unannehmbar, aber gleichzeitig sind die chinesischen Traditionen ebenfalls nicht ausreichend. "Mindestens 15 Prozent der Holo-Sprache passen nicht in die han-chinesische Tradition", behauptet Lí. "Es sind Überreste, die den Assimilationsprozess überdauerten, unter dem Holo letztendlich von den aus Nordchina eindringenden Han-Chinesen gezähmt wurde." Zusätzlich hat Taiwan-Holo eine Menge aus anderen Sprachen entlehnt und aufgenommen, etwa den austronesischen Ureinwohnersprachen, Niederländisch, Japanisch und Englisch. "Schriftsteller, die ausschließlich chinesische Schriftzeichen verwenden, würden bestenfalls ungelenke Werke zu Stande bringen", glaubt Tân.

Der abwechselnde Gebrauch von chinesischen Schriftzeichen und lateinischer Schrift erspart laut Lí zum einen den Aufwand, neue chinesische Schriftzeichen zu kreieren, und er hebt zum anderen Holo-Elemente hervor, die sich von der dominierenden Han-Sprache unterscheiden. Für ihn stellt das gemischte Modell nur eine Übergangsphase dar, in der die Menschen sich an die romanisierte Schrift gewöhnen können, bevor die Sprache endgültig romanisiert ist und von der han-chinesischen Tradition wegbricht.

Für viele Anhänger von Tâi-bûn ist die Romanisierung auch eine effizientere Methode zur Bewahrung der Muttersprachen der Taiwaner. "Es ist so viel leichter zu lernen als die chinesischen Schriftzeichen", wirbt Tân. "Ich will nicht sagen, dass die chinesischen Schriftzeichen gut oder schlecht sind, aber man braucht offensichtlich viel länger, um sie zu beherrschen."

Suche nach taiwanischen Schreibweisen

Eine Anthologie taiwanischer Literatur für College-Studierende, in der die literarischen Arbeiten als Mischung aus chinesischen Schriftzeichen und romanisierter Schrift erscheinen.(Foto: Huang Chung-hsin)

Im Jahre 2004 wirkten Lí und Tân bei der Gründung der Globalen Koalition für Taiwanische Sprachen mit, die unter anderem die Ausbildung in taiwanischen Sprachen fördern soll. Die Organisation ist besonders über die uneinheitliche Romanisierung in Lehrbüchern besorgt. Für die Holo-Sprache gibt es drei bedeutendere Systeme, die miteinander konkurrieren -- erstens POJ, zweitens das phonetische Alphabet der taiwanischen Sprache (eine überarbeitete Form von POJ, bei der neben jedem Wort zur Anzeige des Tones Zahlen anstatt diakritische Zeichen verwendet werden), und drittens Tongyong Pinyin通用拼音 ("allgemeine Umschrift"), das offizielle Romanisierungssystem der Regierung für Mandarin-Chinesisch, das auch auf alle anderen taiwanischen Sprachen ausgedehnt wird.

Die meisten Linguisten sind sich einig, dass die drei Systeme sich in Wirklichkeit sehr ähnlich sind, und manche glauben, man brauche einfach nur Zeit, um sie miteinander zu vereinigen. Gegen Ende 2004 unternahm das Komitee für Nationale Sprachen im Bildungsministerium mit der Vollendung einer Liste von 300 empfohlenen Holo-Wörtern oder Phrasen für Lehrbücher an Grund- und Mittelschulen und auch den allgemeinen gesellschaftlichen Gebrauch einen wichtigen Schritt. "Diese Liste umfasst chinesische Schriftzeichen und Silben in lateinischer Schrift, die den Platz von umstrittenen oder unpassenden chinesischen Schriftzeichen einnehmen", erläutert Robert L. Cheng, der Leiter des Komitees. "Ich will nicht behaupten, dass sie absolut korrekt sind, aber sie stellen eine adäquate Einigung zwischen Gelehrten, Schriftstellern, Lehrern und Praktizierenden der Sprache dar."

Für Cheng ist eine Einigung auf lokaler Ebene viel wichtiger als die Position von Holo in der klassischen han-chinesischen Tradition. Ebenso wie Lí sieht auch er keinen Bedarf dafür, dass die taiwanischen Sprachen sich in diese einigende Kraft einfügen. "Sprache ist in erster Linie ein Phänomen kultureller Merkmale", definiert er. "Und wir müssen die einzigartigen Möglichkeiten jeder Sprache respektieren."

(Deutsch von Tilman Aretz)

Meistgelesen

Aktuell